5. Kapitel 3

Mein Onkel hatte viel städtische und private Bauten übernommen. Ich war schon am folgenden Tage als sein Gehilfe in vollster Tätigkeit und so meinem früheren Meister vorgesetzt, der ohne Weigerung meinen Anordnungen Folge zu leisten hatte.
Im Anfang ging das nicht so ganz glatt. Die frühere Stellung stand ihm wohl vor Augen, als er sich vor Zeugen Bemerkungen gefallen lassen musste; aber da dieselben richtig waren, nahm er sie auch an. Mein Onkel hielt streng darauf, dass meinen Anordnungen stets Folge geleistet werde, und wollte, dass man mich als Vertreter des Stadtbaumeisters voll und ganz anerkenne. Ich war auch da in meinem Berufe streng, aber gerecht, und machte hierin keine Ausnahme.
Ich ging nun auf dem Wege, der mir vom Onkel vorgeschrieben war, mit aller Vorsicht weiter. Ich verkehrte streng, aber freundlich mit den Meistern und Arbeitern und machte mich durch meine Pflichterfüllung beliebt beim Bauherrn zur Freude meines Onkels. So genoss ich schon vom ersten Jahr an bei meinem Onkel und bei den städtischen und kantonalen Behörden seltenes Vertrauen. Ich hatte auch einen Nebenverdienst, indem mir der Staat den Auftrag erteilte, über einen Teil der kantonalen Pfarrhäuser die Planaufnahme zu machen, die bis anhin gefehlt hatte. Zur vollsten Zufriedenheit baute ich auch einen vom kantonalen Ingenieur erbauten und dann eingestürzten Aquädukt in der Gemeinde Belmont wieder auf. Ich versäumte dennoch nichts bei meiner Stellung und auch nicht meine Privatstunden bei den verschiedenen Professoren im Zeichnen und in der Mathematik.
Es fanden dieselben gewöhnlich abends und sonntags statt und ich bezahlte sie aus meinem ersparten Gelde, solange das reichte und dann mit dem Erträgnis meines Nebenverdienstes.
Mein Onkel und meine Tante wurden immer herzlicher gegen mich. Der erstere benützte jede Gelegenheit, meine technischen Eigenschaften zu fördern. Als sein Freund, Herr Architekt Freisse, ein sehr tüchtiger Bautechniker, der in Paris und Italien seine Studien gemacht hatte, fragte, ob er mich entbehren könne, er als schwer kranker Mann brauche für die Ausführung seiner Pläne des Hotels Gibbon in Lausanne einen tüchtigen, zuverlässigen Architekten-Gehilfen und habe an mich gedacht, erklärte mein Onkel, dass er mich sehr vermissen werde, aber hierin ein vorteilhafte Beförderung für mich erblicke. Das war für meinen Onkel und für mich eine grosse Genugtuung, mit 21 Jahren eine so wichtige Stellung bei einem so tüchtigen Architekten bekleiden zu können, auch ein Beweis, dass andauernde und energische Entwicklung der Kenntnisse, natürlicher Verstand und Fachkenntnisse ihre guten Früchte tragen. In den ersten Tagen des Jahres 1837 begab ich mich zum Architekten Freisse und arbeitete Tag und Nacht an den Detailplänen und an den Voranschlägen des oben erwähnten Baues, indem mit Ausführung desselben im nächsten Frühjahr begonnen werden sollte. Rechtzeitig und zur Zufriedenheit meines Prinzipals wurden diese Arbeiten verakkordiert und fertig gemacht, indem hiefür alle Kraft und Energie eingesetzt wurde. Sie wurden zur bestimmten Zeit, im Frühjahr 1839 fertig und in den Schranken des Voranschlages erstellt. - Herr Freisse litt an der Auszehrung. Er wurde immer schwächer und konnte während der Bauzeit sich seinen Aufgaben wenig widmen. Leider starb er in wenigen Jahren an dieser tückischen Krankheit.
Ich hatte mir bei damals sehr bescheidenen Gehaltsverhältnissen dennoch nach und nach 1200 alte Schweizerfranken erspart. Die schienen mir ein wahres Vermögen zur Verwirklichung meiner Zukunftspläne. Immer mehr war ich für grossstädtische und architektonische Bauten begeistert, wo grosses Wissen und energisches Schaffen mit Erfolg gepflegt werden konnten. Aber ich fühlte einen Mangel an Weltkenntnissen, und diese zu vermehren war mein innigstes Streben. Ich sagte mir, dass bei den damaligen schweizerischen Verhältnissen dieses Ziel nicht erreicht werden konnte, und so erwog ich immer mehr die Gründe für das Ausland. Dahin wollte ich gehen, wo grosse städtische Verhältnisse existierten.
Ein Ideal und Hoffnungsstern wurde Paris; aber es sollte nicht mein dauernder Aufenthalt sein, ich erachtete meine Finanzen zu klein hiefür. Aber mein technisches Können und mein Wissen wollte ich dort ergänzen, und zwar so fleissig und sparsam, dass immer noch Geld übrig bleiben sollte, um nachher meine grösseren Pläne ausführen zu können.
Zur gleichen Zeit, als ich in Lausanne neben fleissiger Arbeit diesen Zukunftsplänen nachhing, machte ich beim Zeichenunterricht die Bekanntschaft eines jungen Schweizers, der in Moskau als Hauslehrer eine Stellung hatte. Derselbe erzählte mir viel Interessantes von dieser Stadt und besonders von St. Petersburg, so dass ich diese Stadt für weitere Pläne ins Auge fasste. Da wurde ich mit mir einig, so bald als möglich nach Paris zu reisen, um mich auszubilden, und dann nach St. Petersburg, meiner Zukunftsstadt.
Eines Abends ging ich dann zu Onkel und Tante, um ihnen meinen Entschluss mitzuteilen. Sie waren davon sehr unangenehm überrascht, denn sie hegten die Hoffnung, ich werde für immer in Lausanne bleiben, um der Nachfolger meines tüchtigen Onkels zu werden. Ihr Wunsch und alle ihre Vorschläge machten mich aber in meinem gefassten Entschluss nicht wankend und schliesslich konnte ich sie mit meinen Gründen auch überzeugen. Damit fanden in Lausanne, der zweiten Heimat am schönen Léman, die schönsten und ereignisreichsten Jahre meines Lebens und Strebens ihr Ende.
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