3. Kapitel 1

Ich wurde geboren am 29. Februar 1816 in dem damals noch stillen und kleinen Niederurnen, wo meine Eltern wohnhaft und heimatberechtigt waren. Ich war das jüngste von den damals noch lebenden Kindern, welche meinen Eltern in ihren kleinen bäuerlichen Verhältnissen mit schwerer Anstrengung zu ernähren und erziehen hatten. So bin ich unter dem Schutz des Allmächtigen und einer streng sittlichen Erziehung, auf die meine lieben Eltern hohen Wert legten, und unter steter Arbeit auf dem Land aufgewachsen.
Als ich das sechste Jahr erreicht hatte, schickten mich meine Eltern zu meiner grössten Freude in die Dorfschule, die, wie man sich denken kann, noch sehr primitiv war. Es nahmen siebzig bis achtzig Kinder daran teil, und der Schulmeister wie auch der Pfarrer, die den Unterricht ereilten, zeigten viel Teilnahme für mich; denn ich machte still und fleissig meine Aufgaben und war immer als einer der Ersten damit fertig. Beim Jahresexamen war ich stets der Erste und erwarb mir durch mein Verhalten die Liebe und das Wohlwollen der beiden Herren. Leider konnte ich vom zehnten Jahr an nur noch die Winterschule besuchen; denn meine Eltern brauchten mich bei ihren ländlichen Arbeiten in der guten Zeit auf Feld, Wiese und Wald von morgens früh bis abends spät. Meine lebhafte Neigung, weiterzulernen, sowie der Obgenannten Bitten, die Schule nicht zu unterbrechen, konnten meine Eltern nicht von ihrer Absicht abbringen, ich sei von ihren drei Kindern der Geeignetste, ihnen bei ihrer Arbeit zu helfen, und sie brauchten diese Hilfe notwendig.
Mit dem zwölften Jahr durfte ich auch die Winterschule nicht mehr besuchen. Ich sah zu meinem Leidwesen, dass meine Eltern für mich nur ihren kleinen Bauernhof ins Auge fassten. Das entsprach aber meinen Anlagen und Neigungen nicht, auch nicht meinem Lernwillen und Wissendrang, und ich war entschlossen, hierin nicht nachzugeben.
Einige Monate nach dem Verlassen der Schule fiel meiner Mutter von ihren Eltern eine kleine Erbschaft zu. Es soll zur Ehre meiner Eltern erwähnt werden, dass sie dieselbe für Privatunterricht ihrer drei ältesten Kinder verwendeten. Der Sohn unseres Schulmeisters, ein junger und sehr tüchtiger Geometer, gab mir zwei Winter hindurch zehn bis zwölf Stunden, welchen ich die ersten Grundlagen meines Wissens und Schaffens verdanke.
Meine Eltern fanden, dass meine Arbeiten denen eines Erwachsenen gleichkamen, so dass ich also meinen Lebensunterhalt vom zwölften Lebensjahr an verdiente. Ich blieb aber trotz dieser Erlaubnis meinem Entschluss, kein Bauer zu werden, treu und bestätigte meine Lernbegier bei jeder Gelegenheit. In der freien Zeit konnte ich mein Wissen mit des Lehrers und des Pfarrers Hilfe etwas vervollkommnen. So kam nun auch die Konfirmation, und dies gab nun dem Seelsorger Gelegenheit, sich sehr sympathisch über mich zu äussern. Meine eigenen Lebenspläne beschäftigten mich seither noch mehr, aber leider fehlten die Geldmittel, um sie auszuführen. Ich hatte an Patengeschenken etwa 15 Kronentaler, aber ich sah wohl ein, dass diese nicht weit reichen konnten. Von meinen Eltern konnte ich nicht noch weitere Hilfe erwarten oder beanspruchen, denn sie hatten für ihre tägliche Existenz zu kämpfen.
Sei es, dass die Glarner Luft praktisch und gewerbsam macht, sei es , dass andere Beispiele mir vor Augen schwebten, so fiel mir eines Tages ein, mit meinem wenigen ersparten Geld Kleinvieh zu kaufen, besonders kleine Ziegen (Gitzi), Lämmchen und Kälber. Ich wollte möglichst viel daran verdienen, so schlachtete ich sie in meiner Freizeit selbst und verkaufte das Fleisch und die Häute. Ich hatte den Erfolg, durch diesen Handel mein kleines Kapital zu verdoppeln und in den nächsten Jahren zu vervierfachen. Das gab mir den Mut, meinen festen Plan für ein höheres Lebensziel reiflich zu überlegen.
Da kam unerwartet der Besuch meines Onkels und meiner Tante aus Lausanne, ersterer der einzige Bruder meines Vaters. Er war Bauinspektor in der Stadt Lausanne und in der ganzen Welt eine angesehene Persönlichkeit. Er war mit einer Engländerin verheiratet, aber kinderlos. Ich ergriff die Gelegenheit, ihnen meine missliche Lage darzutun, und Rat und Hilfe für einen andern Beruf zu erbitten. Aber mein Anliegen fand kein Entgegenkommen. Mein Onkel mochte denken, was er mit einem kleinen Bauernbuschen in der feinen Stadt Lausanne anfangen sollte. Da sagte meine Tante, da ich doch entschlossen sei, kein Bauer zu werden und die elterliche Heimat zu verlassen, so könnte mich doch der Onkel nach Lausanne kommen lassen; es werde sich dort schon eine für mich passende Beschäftigung finden. Endlich stimmte zu meiner grossen Freude mein Onkel zu, und so wurde mein sehnlichster Wunsch erfüllt, dem Bauern den Rücken zu kehren und für das Leben eine höhere Ausbildung suchen zu können.
Es wurde also abgemacht, ich durfte die Reise nach Lausanne, der Stadt meiner Hoffnungen, antreten. Wer war glücklicher als der kleine Glarner Knabe, der nun seine Lernbegierde befriedigen und einer besseren Lebensstellung entgegengehen konnte.
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